Zukunft
Schellberg-Boot auf der Insel Rügen (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Hergekommen, angekommen

Sie waren schon in Abu Dhabi oder in Singapur, sie kommen aus den französischen Alpen oder aus Niedersachsen. Sie haben einen Platz für ihr Engagement, für ihre Ideen, für ihre Vision vom Leben gesucht. Hier berichten sie, warum sie diesen Ort für sich in Mecklenburg-Vorpommern gefunden haben.

Text von Andreas Frost

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Von der Wüste ins Grüne

Mit Luise und Anthony Beaumont können Kinder einiges erleben. Sie können Seife gießen, Papierbriketts pressen, Stockbrot backen und sich auf dem Mühlensee im Stand-Up-Paddeln versuchen. Sie füttern die wuscheligen Kaninchen, toben mit den vier Hunden und kraulen die beiden Esel Picasso und Dora. Im kleinen Freidorf, das etwas abseits des Weges zwischen Waren und Neubrandenburg liegt, haben die Beaumonts vor drei Jahren einen Schulbauernhof übernommen. Schulen, Kindergärten und Familien kommen an die Mecklenburgische Seenplatte, um für ein paar Tage der Natur ein Stück näher zu sein. „Jeden Morgen, wenn ich aus dem Fenster schaue, bekomme ich gute Laune“, sagt Luise.

Video Luise Beaumont

Glücklich in  Mecklenburg-Vorpommern: Luise und Anthony Beaumont. (Bild und Video: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Aufgewachsen ist Luise in Gera. In Frankfurt (Oder) hat sie Interkulturelle Kommunikation studiert und lernte Anthony vor zehn Jahren auf einer Neuseelandreise kennen. „An unserem ersten Abend redeten wir über Fußball und ‚Herr der Ringe‘“, erzählt Luise. Von Fußball hat sie allerdings wenig Ahnung, wie sie einräumt. Anders als Anthony, der inzwischen beim SV Möllenhagen im Nachbarort spielt.

Während Anthony sein Zuhause von Neuseeland nach Abu Dhabi und nun MV verlegt hat, verbindet Luise mit Freidorf glückliche Erinnerungen an ihre Kindheit, an die Ferien bei ihrer Großmutter, die im Nachbarort wohnt.

Nach dem Studium gingen die beiden für sechs Jahre an die New York Universität in Abu Dhabi, wo Luise als Schreibberaterin arbeitete. „Abu Dhabi ist toll für Einkommen und Karriere. Aber glitzernde Fassaden und künstliche Natur ist nicht das, was wir für unsere Familie wollten.“ Zu Besuch bei ihrer Großmutter in Mecklenburg schaute sie auf dem Schulbauernhof vorbei, auf dem sie früher als Ferienkind geritten ist. Die Besitzer wollten den Hof verkaufen, Luise und Anthony griffen zu. Drei Tage nach ihrer Ankunft tobte schon die erste Schulklasse durch die Zimmer.

Jeden Morgen, wenn ich aus dem Fenster schaue, bekomme ich gute Laune.

Luise Beaumont

„Wir haben so viel Platz hier“, schwärmt Luise, während ihr Lana und Lexi zu den vier Schafen auf der Wiese folgen. Die beiden „Desert Dogs“ haben sie aus Abu Dhabi mitgebracht. Die Landschaft um Freidorf herum sei „einfach genial“ zum Leben, zum Laufen, zum Fahrradfahren, zum Schwimmen. Die Leute in der Gegend hätten sie sehr freundlich aufgenommen. „Es wird respektiert, wenn jemand herzieht und anpackt.“

Luise Beaumont mit Hunden

Tierlieb: Die Beaumonts leben unter anderem mit vier Hunden auf ihrem Hof, der sich im Gebiet der Mecklenburgischen Seenplatte befindet. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Huehner

Familien kommen zu den Beaumonts, um für ein paar Tage der Natur ein Stück näher zu sein. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Luise Beaumont mit Esel

Nicht nur Esel können gestreichelt werden: Kinder können bei den Beaumonts Seife gießen, Stockbrot backen und sich auf dem Mühlensee im Stand-Up-Paddeln versuchen. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Feriencamp bei den Beaumonts

Feriencamp bei den Beaumonts: Kinder fühlen sich hier richtig wohl. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Für ihr Engagement ist Luise Beaumont 2020 als „Gründerin des Jahres“ in Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet worden. Über die Auszeichnung hat sie sich sehr gefreut, „weil unser Hof sich offenbar mit großen Firmen messen konnte und es ein Preis ist, den es nur für Frauen gibt“.

Um die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu minimieren, füllen Luise und Anthony Bauernhof-Boxen mit Bastelsachen und Lektüre. Damit verschicken sie einen Hauch Feriencamp – an Kinder, die es gar nicht erwarten können, nach Freidorf zu kommen.

Aus Urlaub wird Heimat

Wenn Dana und Rüdiger Schellberg bei Stralsund über den Strelasund nach Rügen fahren, „fühlt es sich wie Nach-Hause-Kommen an“. Vor vier Jahren haben sie zum ersten Mal auf Deutschlands größter Insel Urlaub gemacht. Seitdem kamen sie im Frühjahr, im Sommer, im Winter. „Schon oben auf der großen Brücke packte mich die Vorfreude“, erzählt Dana Schellberg, „es war, als wenn man alle Sorgen auf dem Festland lässt.“ Im Herbst 2020 packten sie ihr Hab und Gut und zogen in die südöstliche Ecke Rügens nach Baabe – in ein Dorf nicht weit vom mondänen Binz entfernt, mit feinem Sandstrand, langer Promenade und einer Handvoll gemütlicher Gastwirtschaften.

Ehepaar Schellberg

Aus Urlaub wurde Heimat: Ehepaar Schellberg beim Strandspaziergang in Baabe. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Dana und Rüdiger Schellberg haben in der Nähe von Hameln in Niedersachsen gelebt. Nach ihren ersten Rügen-Reisen spielten sie mit dem Gedanken, vielleicht ihren Ruhestand auf Rügen zu verbringen. Aber bis zur Rente wollten sie nicht warten. „Logisch“, sagt Rüdiger Schellberg, „arbeiten müssen wir hier auch. Die Lebensquantität ist dieselbe, aber die Lebensqualität ist höher.“

Früher ist Rüdiger Schellberg mit dem Lkw kreuz und quer durch Europa gefahren. Auf Rügen arbeitet er bei einer Hotelkette als Haustechniker. Dana Schellberg ist examinierte Altenpflegerin und arbeitet im Nachbarort in einem Pflegeheim. „Finanziell haben wir uns nicht verschlechtert“, sagt Dana Schellberg. Beide Jobs seien stressig, räumt sie ein. Aber nach der Arbeit laufen sie den Strand entlang, auch wenn kalter Wind die See aufpeitscht. „Das Meer beruhigt, egal ob es dahinplätschert oder sich die Wellen brechen.“ Und wenn sie langsam geht und genau hinschaut, findet Dana Schellberg manchmal einen Bernstein.

Die Lebensquantität ist dieselbe, aber die Lebensqualität ist höher.

Rüdiger Schellberg

Bereits während ihrer regelmäßigen Rügen-Reisen knüpften die Schellbergs die ersten Kontakte in der Gemeinde. „Wenn wir hereinkamen“, berichtet Rüdiger Schellberg, „fing der eine Gastwirt schon mal an, unser Feierabendbier zu zapfen, ohne dass wir lang bestellen mussten.“ Daran hat sich nichts geändert, außer während des Corona-Lockdowns. Rüdiger Schellberg ist lang gedienter Feuerwehrmann – und natürlich längst bei der Freiwilligen Feuerwehr in Baabe aufgenommen.

Insel Rügen

Leben, wo andere Urlaub machen: Baabe auf der Insel Rügen. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Dana und Rüdiger Schellberg

Fühlen sich bereits wie zu Hause: Dana und Rüdiger Schellberg in Baabe. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Ehepaar Schellberg

Sind sich sicher, dass die Lebensqualität auf der Insel Rügen höher ist: Ehepaar Schellberg in ihrer Wohnung. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Baabe Promenade

Baabe besticht unter anderem durch seinen feinen Sandstrand und einer langen Promenade. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

„Wir fühlen uns hier wohl, wir fühlen uns geborgen“, sagt Dana Schellberg, ohne lange nachzudenken. „Baabe ist Teil unseres Lebens geworden.“

So gut klingt Metall: Aluminiumgitarren aus Liepen

Das Nachtleben Berlins hat Alexandre Gletty ausgekostet, bis er genug davon hatte. Jetzt genießt er das Nachtleben in Liepen. Wenn sich der Mond im Teich spiegelt, der die frühere Wasserburg umgibt, wenn der Wind die Äste der knorrigen Eiche zum Knarren bringt, wenn die Sterne so klar am Himmel stehen, wie er es in Berlin nie gesehen hat.

„Dieser Ort hat einen Touch von Unendlichkeit“, sagt der Gitarrenbauer über sein neues Zuhause in einem Dorf in der Nähe des Müritz Nationalparks. Vor knapp einem Jahr ist er mit seiner Frau hergezogen und hat sich in einem ehemaligen DDR-Schweinestall seine kleine Werkstatt eingerichtet. „Hier habe ich die Ruhe, die ich brauche“, sagt Gletty, „hier bin ich fokussiert. Wenn ich aus dem Fenster in die Landschaft schaue, verliere ich jegliche Hektik.“

Alexandre Gletty

Hat seine Idee in die Tat umgesetzt: Der Franzose Alexandre Gletty baut Gitarren in Liepen im Landkreis Vorpommern-Greifswald. (Bild und Video: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Der Franzose ist in den Alpen aufgewachsen und arbeitete dort vier Jahre lang in einem Musikladen und als Roadie bei Konzerten. Als Couchsurfer kam er nach Berlin und blieb dort hängen. In seiner WG lebte Gletty mit zwei Tischlern und einem Steinmetz zusammen. „Sie unterstützten mich bei der bis dato wahnsinnigen Idee, E-Gitarren zu bauen. Ich hatte doch keine Ahnung von Holz, aber total Lust auf dieses Experiment.“ Sein WG-Zimmer wurde zur Werkstatt – und war bald zu klein, um darin zu leben und zu arbeiten.

In seiner Werkstatt in Liepen hängen Poster von Jimi Hendrix und „Motörhead“-Frontmann Ian Lemmy Kilmister. Auf die Finger der rechten Hand hat sich Gletty „R O C K“ tätowieren lassen, auf die linke „R O L L“. Seine E-Gitarren heißen zum Beispiel „Columbia“ und „Gaspra“. Er baut den Körper aus Erle, Mahagoni, Ahorn und verschiedenen Edelhölzern. Für das Griffbrett verarbeitet er auch Ebenholz, Palisander oder das edle Holz der Ziricote. Den Hals der Gletty-Guitars aber fertigt Alexandre Gletty hauptsächlich aus Aluminium, seltener aus Holz. E-Gitarren mit Alu-Hals waren vor 50 Jahren modern, gerieten in Vergessenheit. „Jetzt gibt es wieder eine Handvoll Instrumentenbauer, die Gitarren mit Hälsen aus Aluminium bauen. Alu-Hälse lassen die Noten länger schwingen und sind quasi unkaputtbar“, sagt Gletty. Nur seine Alu-Hälse haben einen speziellen Mechanismus zum Nachjustieren. Und jedes Stück ist ein handgefertigtes Unikat.

Gitarrenkörper

Der Gitarrenkörper wird aus Erle, Mahagoni, Ahorn und verschiedenen Edelhölzern gefertigt. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Alexandre Gletty

Ganz bei sich: Wenn Alexandre Gletty aus dem Fenster in die Landschaft schaut, verliert er jegliche Hektik. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Alexandre Gletty

Zukunft: Gletty plant neben seiner Werkstatt demnächst ein Aufnahmestudio. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Wohnort Liepen

Für den Gitarrenbauer hat sein Wohnort Liepen „einen Touch von Unendlichkeit“.  (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

„Voll nett“ seien seine neuen Nachbarn, sagt Alexandre Gletty, wobei sein französischer Akzent nicht zu überhören ist. „Sie grüßen dich, wenn du ihnen draußen begegnest.“ Das kennt er aus dem Alpendorf, in dem er aufgewachsen ist, und es sei so viel angenehmer als im anonymen Berlin. Natürlich besucht er noch regelmäßig seine Freunde in der Hauptstadt, es ist ja nicht weit. Aber inzwischen kennt er genügend Leute in Liepen und Umgebung, mit denen er Musik machen kann. Neben seiner Werkstatt plant er dafür ein Aufnahmestudio.

Sonne, Meer und Wind

„Wir hatten keine Vorstellung davon, wie international Rostock schon ist“, sagt Christiane Geisler. Sie arbeitet für ein namhaftes Biotech-Unternehmen, ihr Ehemann ist Personalleiter in einem der beiden Rostocker Werke des Windkraftanlagenherstellers Nordex. „Es sind beides Zukunftsbranchen – und nicht die einzigen hier in der Region“, berichtet Christian Geisler.

Christiane und Christian Geisler

Christiane und Christian Geisler leben jetzt mitten in einer der beliebtesten Ferienregionen Deutschlands. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Im Frühjahr 2018 sind die beiden in die Hansestadt gekommen, seit drei Jahren lassen sie sich wieder den Ostseewind um die Nase wehen. Die Geislers stammen aus Kiel. Nach Ausbildung und Uni zogen sie vor rund 20 Jahren nach Frankfurt am Main. Quasi auf Augenhöhe waren sie für zwei renommierte Bankhäuser tätig. „Mein Büro war im 32. Stock, das Büro meines Mannes in der 35. Etage ein paar Häuser weiter“, berichtet Christiane Geisler. Als Personalchef kümmerte er sich um 15 Auslandsfilialen weltweit. New York, London und Singapur zählen zu den Stationen seiner Karriere.

Wir hatten keine Vorstellung davon, wie international Rostock schon ist.

Christiane Geisler

Als jedoch ihr Sohn und ihre Tochter aus dem Haus waren, dachten die Geislers, es sei Zeit, noch einmal etwas Neues anzufangen, sich einer neuen Herausforderung zu stellen. Christian Geisler hörte sich bundesweit um. „Das Angebot von Nordex war genau das, wonach ich gesucht habe.“ Zunächst glaubte er, er würde am Nordex-Sitz in Hamburg eingesetzt. Es ging um Rostock, er zögerte. Christian Geislers Vater ist gebürtiger Rostocker. „An einem trüben Januartag 1990, kurz nach der Wende in der DDR, waren wir zusammen dort. Die Erinnerung daran war nicht erbaulich.“ Dann aber hatte er an einem sonnigen Tag allein schon Spaß an der Fahrt über die gut ausgebaute A 20 nach Rostock. „Vor Ort war ich überwältigt, was sich hier alles entwickelt hat. Und die Küste Mecklenburg-Vorpommerns hat Schleswig-Holstein längst den Rang abgelaufen.“

Christiane und Christian Geisler

Familie Geisler ist im Frühjahr 2018 in die Hanse- und Universitätsstadt Rostock gekommen. (Bild: Andreas Duerst, STUDIO 301)

Nordex SE

Die Nordex Group zählt zu den größten Unternehmen der Windindustrie mit verschiedenen Standorten, unter anderem in der Hanse- und Universitätsstadt Rostock. (Bild: Nordex SE)

Nordex SE

Nordex ist einer der größten Arbeitgeber der Region. Das Unternehmen bildet zudem in verschiedenen Berufsfeldern aus und wurde als „Top-Ausbilder“ ausgezeichnet. (Bild: Nordex SE)

Auch Christiane Geisler war schnell überzeugt von der Hanse und Universitätsstadt. „Rostock hat alles dafür getan, uns zu gefallen.“ Die hanseatischen Fassaden in der Innenstadt, die kleinen, bunten Häuser in Warnemünde, das entspannte Treiben, der Touristentrubel. „Wir wohnen jetzt mitten in einer der beliebtesten Ferienregionen Deutschlands. Das hätte ich vorher nicht gedacht“, sagt Christiane Geisler. Am Stadtrand Rostocks haben sie ein neues Zuhause gefunden, fünf Minuten vom Strand entfernt. Und da der Platz an ihren Garten angrenzt, haben sie inzwischen mit dem Golfspielen angefangen.

Christian Geisler räumt ein, dass ihm manchmal die Hügel um Frankfurt fehlen. „Mit dem Rad in den Spessart hinauf, da konnte ich schnell mal 600 Höhenmeter machen.“ Um Rostock herum sei ja „alles ziemlich flach“. Christiane Geisler gibt zu, ab und zu die Shopping-Möglichkeiten in der Frankfurter Innenstadt zu vermissen. „Aber die Sonne, das Meer, der Wind – die wiegen das allemal auf.“

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