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Mecklenburg-Vorpommern: Energiestandort der Zukunft

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Die Zukunft der Energieversorgung besteht aus Wasserstoff, Biogas und Strom. Das haben Menschen in Mecklenburg-Vorpommern längst erkannt und angefangen, dafür umweltfreundliche Technologien zu entwickeln - oder gleich ein ganzes Dorf mit „grüner" Energie zu versorgen.

Text: Dörte Rahming 

Mobil mit eigenem Wasserstoff

Diese Tankstelle passt wirklich in jeden Vorgarten: Sie besteht nur aus mehreren Druckflaschen, gefüllt mit Wasserstoff, und einer Armatur – geeignet für alle gängigen Fahrzeuge, die mit dem Treibstoff der Zukunft laufen. Und das ist genau das Ziel von Mario Batarow: die Tankstelle unter dem heimischen Carport mit selbst produziertem Wasserstoff.

Gründer Mario Batarow hat in Rostock studiert und sein erstes Unternehmen schon vor 14 Jahren gegründet. (Bild:  STUDIO 301 / Andreas Duerst)

 

Mario Batarow und seine Kollegen sehen Mecklenburg-Vorpommern als Zukunftsregion für die Erzeugung von Wasserstoff. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Der Maschinenbau-Ingenieur ist in Karow bei Güstrow aufgewachsen, hat in Rostock studiert und gründete vor 14 Jahren seine erste Firma – „praktisch auf dem Dachboden unseres Hauses, als Ein-Mann-Unternehmen in Teilzeit“, lacht er. Das Unternehmen produziert Sensoren für Maschinen wie Kräne oder Traktoren und exportiert sie in die ganze Welt. Bis heute haben die Ingenieure mehr als 2000 Messbolzen konstruiert, mehrere 100 realisiert – „alles made in Germany, soweit sich das machen lässt. Und das ist bis heute unser Rückgrat“, sagt der 40-Jährige.

Vor zehn Jahren startete er in ein anderes Feld: Windkanäle für Tests an neuen Produkten. „Es hieß, es gebe keine guten Anbieter – also wollte ich das machen.“ Der Erfolg gibt ihm Recht. Ein wesentlicher Motor seines Geschäfts ist das Internet. „Unsere Kunden finden uns im Netz, und wir können hier in der Heimat produzieren.“

Auch das tägliche Leben läuft für die fünfköpfige Familie optimal. „Der Schulbus hält ein paar Meter die Straße runter, im Nachbarort gibt es Kita, Hort und Sportverein - und eine S-Bahn-Anbindung nach Rostock“, sagt Sigrid Batarow. „Dort bleiben zu können, wo ich aufgewachsen bin – für mich gibt´s nichts Besseres“, ergänzt ihr Mann. Inzwischen hat er fünf Ingenieure eingestellt – ebenfalls von hier: Drei kommen von der Hochschule Stralsund, einer aus Wismar, einer aus Rostock. „Wir zielen darauf, dass die Leute bis zur Rente bleiben.“

Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft, denn Mario Batarow liegt Umweltschutz am Herzen. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Passt in jeden Vorgarten: Die mit Wasserstoff gefüllte Tankstelle von Hydrogen Batarow. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Hydrogen Batarow arbeitet an Wasserstofflösungen, die nicht nur für Pkws genutzt werden können, sondern auch für Gabelstapler.  (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Batarow sieht sich und seine Kollegen als Tüftler, die Lösungen entwickeln. Deshalb ist vor etwa zwei Jahren eine weitere Firma dazugekommen: Batarow Hydrogen. Denn es ist ihm wichtig, etwas für den Umweltschutz zu tun. „In ein paar Jahren wird unser Sohn uns fragen, was wir dafür unternommen haben – und im Grunde investieren wir immer noch zu wenig.“ Grüner Wasserstoff, also solcher, bei dessen Erzeugung ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien verwendet wird, schien ihm ein gutes Feld für die Zukunft. „Wir glauben, dass man sein Auto am eigenen Haus betanken kann – wenn es denn ein Wasserstoff-Auto ist.“ Der Ingenieur findet das ganz einfach: „Man braucht einen sogenannten Elektrolyseur, ein Gerät, das aus Strom und Wasser den Wasserstoff produziert, und eine Tankstelle.“

Bisher gibt es solche Lösungen nicht für Endverbrauchende, aber vor dem Fenster seines Büros steht schon ein Prototyp. Außerdem hat sein Unternehmen Kompressoren zur Verdichtung und Tanks zur Speicherung von Wasserstoff entwickelt, denn die werden ebenfalls gebraucht.

Glaubt, dass Wasserstoffautos am eigenen Haus betankt werden können: Mario Batarow, Gründer von Hydrogen Batarow. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Er sieht Mecklenburg-Vorpommern als Zukunftsregion für die Erzeugung von Wasserstoff. „Wir haben die Energie hier, ihn zu produzieren, denn es gibt viele Windparks und günstige Flächen.“

Europameister in der Wasserstoffklasse

In einer Werkstatt der Hochschule Stralsund steht ebenfalls ein Wasserstoff-Auto. Schlank und schwarz ist es, hat riesige blaue Räder und wiegt nur 22 Kilogramm, denn es ist aus Karbon. 40 km/h schafft es, aber straßentauglich ist es nicht: Studierende des ThaiGer-H2-Racing-Teams der hiesigen Hochschule haben den Prototypen entwickelt und gebaut.

Thanyarak Bogdanske kennt den Wagen genau, denn sie ist die Fahrerin. Als sie 2020 ins Team kam, wurde sie als Erstes gefragt, wie viel sie wiegt. „Nicht etwa, wie ich heiße“, lacht die zierliche Thailänderin. „Denn sie brauchten unbedingt jemanden, der ins Cockpit passte – da kam ich gerade richtig.“

Thanyarak Bogdanske studiert Wirtschaftsingenierwesen an der Hochschule Stralsund - und ist nebenbei Rennfahrerin. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Großer Traum: Thanyarak will eines Tages ihrem thailändischen Großvater einen wasserstoffbetriebenen Traktor bauen. Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Die zukünftige Wirtschaftsingenieurin machte das Kühlsystem des Wagens zum Thema ihrer Bachelor-Arbeit – eigentlich wegen eines heimlichen Traums: „Ich will für meinen Opa einen wasserstoffbetriebenen Traktor konstruieren. Er baut in Thailand noch nach alter Art Reis an, mit einem Ochsen. Eine Maschine nimmt er nicht, weil er keine Ölflecken auf dem Feld haben will. Also habe ich mir das Thema Wasserstoff näher angeschaut.“ Sie weiß die Chance zu schätzen, in Deutschland zu studieren, und möchte so viel wie möglich daraus machen. 

Das ThaiGer-Team gibt es schon seit 2008, sieben Rennwagen mit unterschiedlichen Antriebsarten sind im Laufe der Zeit entstanden. Von Anfang an ging es darum, dass Studentinnen und Studenten erleben, wie nachhaltige und effiziente Mobilität in der Praxis funktioniert.

„Diese Technologien werden in Zukunft vermehrt eingesetzt“, sagt Dr. Johannes Gulden, der das Projekt am Institut für Regenerative Energiesysteme leitet. „Die Fachkräfte der Zukunft müssen damit umgehen können. Und sie lernen dabei auch, interdisziplinär zu kooperieren.“ Denn die etwa zehn aktiven Teammitglieder kommen aus allen Fakultäten der Hochschule Stralsund.

Thanyarak Bogdanske hat keine Platzangst, wenn sie in den kleinen Wasserstoff-Flitzer des Rennteams steigt. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Jedes Jahr nehmen sie am europäischen Shell-Eco-Marathon teil. Bei diesem Wettbewerb für studentische Teams geht es nicht um Tempo, sondern um Effizienz. 2022 haben sie den internationalen Wettbewerb in der Kategorie Wasserstoff-Fahrzeuge zum vierten Mal in Folge gewonnen. Und inzwischen hat das Team auch etliche Sponsoren – sowohl aus dem Land als auch überregional.

Alles begann als thailändisch-deutsche Kooperation – daher auch der Name ThaiGer. Allerdings ist Thanyarak seit längerer Zeit das erste Mitglied aus dem asiatischen Land. Die 30-Jährige wohnt seit ihrem siebten Lebensjahr in Hamburg. Für ihr Studium hat sie sich 2016 bewusst Stralsund ausgesucht – „raus aus der Großstadt“, meint sie. „Ich wollte etwas anderes kennenlernen, und nur wenn man studiert kommt man rum.“ Viel freie Zeit hat sie sich nicht gegönnt, wollte lieber ihr Studium zügig bewältigen. Aber den Bootsführerschein hat sie immerhin gemacht und segeln gelernt.

Insgesamt 7 Wasserstoff-Rennwagen wurden bisher an der Hochschule Stralsund entwickelt und gebaut. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Derzeit arbeitet sie an ihrem Master-Abschluss, ebenfalls mit einem Thema aus dem Bereich Wasserstoff. „Das ist ein Zukunftsthema, und ich bekomme hier schon viel Wissen und Erfahrung damit. Das gibt mir einen Vorsprung bei der Jobsuche.“
Doch neben dem Studium bleibt ihr auch noch etwas Zeit fürs Racing-Team – und für den Traum vom Wasserstoff-Traktor.

Leise und sauber auf dem Wasser unterwegs

Nicht ganz so schnell, aber ebenfalls emissionsfrei und zudem fast geräuschlos - so fahren die Elektro-Solarschiffe aus Stralsund. Eines der aktuellen Modelle ist über 22 Meter lang und wird demnächst auf einem Schweizer Fluss unterwegs sein. Es ist das letzte von drei baugleichen Schiffen, die die Firma Ampereship nach Zürich geliefert hat.

Geschäftsführer Ingo Schillinger ist stolz auf seine emissionsfreien Elektro-Solarschiffe, die er mit seinem Team in Stralsund in Handarbeit produziert. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Sie wurde vor gut vier Jahren aus dem größeren Unternehmen Ostseestaal ausgegliedert. Während dort unter anderem Außenhautpakete für Schiffe und Megayachten, Werkzeuge für die Windindustrie, aber auch komplette Schiffe hergestellt werden, konzentriert sich die Schwesterfirma auf vollelektrische Binnenschiffe. „Wir haben seit über 20 Jahren die Kompetenz für den Kaskobau, also für den schwimmfähigen Schiffsrumpf ohne Technik“, erklärt Ingo Schillinger, Geschäftsführer von Ampereship. „Und weil wir uns kontinuierlich weiterentwickeln, haben wir uns auf Elektroschiffe spezialisiert, diese kommen dann komplett ausgerüstet von uns.“

Die umweltfreundlichen Fahrzeuge eignen sich vor allem für die Personenbeförderung auf Binnengewässern oder für Autofähren, die planbare Strecken abdecken. „Denn wie viel Strom man mitnehmen kann, ist genau auf das Fahrprofil abgestimmt“, erklärt der studierte Informatiker. „Man braucht also eine Ladeinfrastruktur an Land.“ Auch bereits fahrende Schiffe können auf Elektroantrieb umgerüstet werden. „Dafür gibt es Fördermittel für Reedereien.“

 Was an ein Raumschiff erinnert, zeigt die Verkabelung eines weiteren emissionsfreien Passagierschiffes. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

In luftigen Höhen: Auch außerhalb des Wassers machen die Schiffe von Ampereship einen guten Eindruck. (Bild: Peuss) 

Kabelsalat: Auch wenn die Technik komplex ist, sind die Schiffe von Ampereship vor allem auf Langlebigkeit ausgelegt. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Die Holzverkleidungen und großen Fenster machen Lust auf ein Probesitzen. Bis in die Schweiz vertreibt die Firma ihre Schiffe. (Bild: Peuss) 

Und der Markt wächst. Schon jetzt liefert das kleine Unternehmen die umweltfreundlichen Wasserfahrzeuge nicht nur an Kunden in Deutschland und der Schweiz, sondern auch nach Österreich, Italien und in die Niederlande. „Wir haben den Anspruch, auch weltweit unterwegs zu sein, zum Beispiel in Indien oder Afrika - auch wenn der Markt dort anspruchsvoll ist“, sagt der 51-Jährige. „Wir haben früh angefangen, solche Schiffe zu bauen, und haben inzwischen mehr Erfahrung als unsere Wettbewerber.“

Auch mit Wasserstoffantrieben für Schiffe beschäftigen sich die Ingenieure von Ampereship bereits. „Technologisch ist das aber noch nicht so weit“, sagt Schillinger. Forschung und Entwicklung spielen im Unternehmen generell eine große Rolle. „Wir entwickeln unter anderem Flottenkonzepte und passen sie an die jeweiligen Kunden an - je nachdem, wofür sie die Schiffe brauchen.“ Kooperationen gibt es auch mit den zahlreichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Land und darüber hinaus.

Unten in den großen Hallen entsteht jedenfalls ein Elektroschiff nach dem anderen. Derzeit ist neben dem dritten Binnenschiff für die Schweiz auch eine Autofähre für Lübeck im Bau.

Warmes Wohnen auf nachhaltige Art

Grüner geht es nicht: Bollewick - mit Betonung auf der zweiten Silbe, darauf legen die Einwohnenden Wert – könnte sich komplett selbst mit Strom und Wärme versorgen. Der Ort liegt nur wenige Kilometer von der Autobahn 19 entfernt und doch mitten in der Ruhe der mecklenburgischen Landschaft.

Mehr als die Hälfte der Haushalte ist an das Nahwärmenetz angeschlossen, außerdem alle gemeindeeigenen Gebäude wie drei Kitas, Werkstätten, Käserei und nicht zuletzt die riesige Festscheune, in der es auch Läden und Büros gibt. Und was nicht gebraucht wird, wird ins Stromnetz eingespeist und versorgt fast 3.000 weitere Haushalte. Damit ist Bollewick offiziell ein Bioenergie-Dorf.

Antje Styskal ist ehrenamtliche Bürgermeisterin des Bioenergie-Dorfs Bollewick. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Das war das Ziel von Bertold Meyer, der fast 30 Jahre lang ehrenamtlicher Bürgermeister war. „Er wollte die wirtschaftliche Wertschöpfung hierbehalten“, sagt Antje Styskal, die seit 2019 seine Nachfolgerin im Amt ist. „Die Leute sollten etwas davon haben.“ Die beiden ortsansässigen Landwirte kamen mit ins Boot, bauten große Biogasanlagen. „Sie halten auch Tiere – wir machen praktisch unsere Energie zur Hälfte aus deren Mist.“ Styskal lacht. Die andere Hälfte stammt aus Mais und Pflanzenresten.

Aus dem Biogas wird Strom produziert, dazu kommen Photovoltaik-Anlagen auf etlichen Dächern – so werden im Ort insgesamt mehr als acht Millionen kWh pro Jahr produziert. Als Nebenprodukt entsteht Wärme, noch einmal über 6 Millionen kWh pro Jahr. „Damit heizen wir das Dorf“, sagt die Bürgermeisterin. Die Energie aus Bollewick ist um etwa ein Drittel günstiger und spart jährlich etwa 4.300 Tonnen CO2 ein.

In Bollewick wird Energie aus Pflanzenresten und Tiermist erzeugt. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Vorreiter: Die Energie aus Bollewick ist um etwa ein Drittel günstiger und spart jährlich etwa 4.300 Tonnen CO2 ein.  (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Photovoltaik-Anlagen produzieren zusätzlich Strom – so werden in der Gemeinde insgesamt mehr als acht Millionen kWh pro Jahr produziert. (Bild: STUDIO 301 / Andreas Duerst)

Auch das zieht neue Bürgerinnen und Bürger an: Das Dorf besteht aus vier Ortsteilen und hat insgesamt 650 Einwohnerinnen und Einwohner. Allein im Ortsteil Wildkuhl sind in den vergangenen zwei Jahren zehn Kinder dazugekommen.

„Es ziehen immer mehr junge Familien her“, sagt Styskal. „Wir sind hier in der Mitte zwischen Berlin und Hamburg, und die Landschaft ist noch sehr naturbelassen. Beim Spazierengehen begegne ich tatsächlich Fuchs und Hase.“

Immer wieder kommen Besucherinnen und Besucher, zum Beispiel aus Argentinien und Vietnam. Sie wollen sich ansehen, wie diese Versorgung mit Bioenergie funktioniert. „Das ist vor allem etwas für Dörfer, in denen es sowieso Tierhaltung gibt“, meint Styskal.
Seit zehn Jahren setzt Bollewick nun schon auf eigene Energie. „Doch das ist ein nie abgeschlossener Prozess, wir müssen dranbleiben und mit den Leuten reden“, sagt Ideengeber Meyer.

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